Preispolizei

Bitte beachten : Der nachfolgende Text stammt aus dem Februar 2002. Peter-Harry Carstensen wurde später Ministerpräsident von Schleswig-Holstein.

Im Zuge der Umstellung auf den Euro fordert einer Meldung der Bildzeitung vom 3.2.02 zufolge der Vorsitzende des Verbraucherschutz-Ausschusses des Bundestages, Peter-Harry Carstensen (CDU): "Bund, Länder und Gemeinden sollten Euro-Sonderkontrollen veranlassen, um weitere Preistreiberei zu verhindern, wenn Ende des Monats die doppelte Auszeichnung in D-Mark und Euro wegfällt." Unterstützung erfährt diese volksnahe Forderung auch aus den Reihen der SPD (Klaus Lennartz: "Für eine Übergangszeit sollten Lebensmittelkontrolleure und Gewerbeaufsicht eingesetzt werden, um Preistreiber ausfindig zu machen") und der FDP (Carl-Ludwig Thiele: "Ombudsleute, die Wucher im Zusammenhang mit der Währungsumstellung öffentlich machen"). Aldi anderen Interessenvertreter der Verbraucher werden sich sicher noch anschließen.

Vor dem Hintergrund des Modells vollkommener Konkurrenz bleibt für diese Forderung nur ein möglicher Kommentar: Blödsinn.

Halt! Das wäre doch zu einfach gedacht. Wie so oft lautet die schlauere Antwort des Ökonomen: "it depends". Schließlich baut unser statisches-der-Markt-ist-optimal-Modell bisher auf äußerst restriktiven Bedingungen auf.

In der realen Welt sind die Verbraucher nicht vollkommen informiert. Und schon gilt Jevons Gesetz von der Unterschiedslosigkeit der Preise nicht mehr, da die Anbieter diese Marktunvollkomenheit natürlich zu ihrem Vorteil ausnutzen wollen und können. Alles andere würde uns als Ökonomen auch überraschen, denn wir unterstellen den Akteuren ja grundsätzlich Handeln im Interesse des eigenen Vorteils: den Unternehmern die Maximierung ihres Profits wie den Politikern die Maximierung der Wahrscheinlichkeit ihrer Wiederwahl. Das Beruhigende daran ist, dass wir inzwischen die Bedingungen kennen, unter denen dieses individuell egoistische Verhalten - wenn auch von den Akteuren gänzlich unbeabsichtigt - einen Zustand hervorbringt, der auch aus gesellschaftlicher Perspektive wünschenswert ist (Adam Smith' Idee der unsichtbaren Hand).

Aber auch eine weitere Annahme trifft die Realität nicht. Unternehmen verfolgen nicht (nur) das Ziel kurzfristiger Gewinnmaximierung. Sie wollen in aller Regel langfristig am Markt überleben. Unternehmen, auf die dies zutrifft, können wir z.B. an hohen Investitionen in der Vergangenheit identifizieren, die sie nicht oder nur schwierig rückgängig machen können. Das trifft besonders für Werbeausgaben zu, so dass bei Markenartikeln kaum mit Preistreiberei zu rechnen sein wird. Auch solche Unternehmen, die sich einen Kundenstamm aufgebaut haben, werden kaum für die befürchtete Preistreiberei in Frage kommen. Und wenn es Ausnahmen gibt, dann werden die Marktkräfte sie korrigieren. Dies setzt allerdings Konkurrenz voraus. Gefordert ist also keine Preispolizei und schon gar keine Preisaufsichtsbehörde, sondern - wenn überhaupt - die Ordnungspolitik. Durch die Kontrolle von Preisen wird kein Wettbewerb sichergestellt. Eher umgekehrt wird ein Schuh d'raus.

Die Geschwindigkeit, mit der die Marktkräfte wirksam werden, wird vor allem vom Grad der Information abhängen. Je transparenter der Markt ist, desto besser wird der Wettbewerb funktionieren. In diesem Sinne könnte man die Forderung positiv interpretieren. Die "Preispolizei" sollte dann allerdings nicht die "schwarzen Schafe" ausfindig machen. Im Gegenteil, sie sollte den Weg zu günstigen Angeboten weisen.

Aber das haben wir doch längst. Denn genau darauf haben sich Preisagenturen, Fach- und Testzeitschriften spezialisiert. Bis wir für das Gemüse auf dem Wochenmarkt, das ohnehin aufgrund des saisonbedingt unelastischen Angebots starken Preisschwankungen unterliegt, Euro-Cops ausgebildet haben, die die natürlichen Preisschwankungen von Euro-Preistreiberei sauber trennen könnten, wird keiner mehr darüber reden.