Giffen-Gut

Dieses Zahlenbeispiel mag recht konstruiert wirken. Das liegt nicht zuletzt daran, dass Giffen-Güter außergewöhnliche Fälle sind. Außerdem bedient es billige Klischees. Das macht es leichter verständlich.

Ein Bettler "ernährt" sich nur von Alkohol. Jeden Tag spürt er das Verlangen, wenigstens 1,2 Promille erreichen zu wollen. Dies ist seine "erste Präferenz". Alles andere tritt dahinter zurück. Zur Zeit erreicht er sein Ziel, indem er sich 5 Flaschen Wein aus dem Supermarkt zu je 2 Euro und 2 Schnäpse in der Kneipe zu je 2,50 Euro leistet.

Das kostet ihn insgesamt 15 Euro und es sei angenommen, dies ist der Betrag, den er sich Tag für Tag zusammenbetteln kann. Andere Einkommen hat er nicht.

Eine Flasche Wein lässt seinen Alkoholpegel um 0,20 Promille steigen, ein Schnaps um 0,15 Promille. Eigentlich trinkt er lieber in der Kneipe einen Schnaps, aber würde er sein Erbetteltes nur für Schnaps ausgeben, dann würde er seinen Mindestalkoholpegel nicht erreichen. Er könnte sich nämlich nur 6 Schnäpse leisten, was nicht einmal für einen Pegel von 1 Promille reichen würde. Aber wenn er es sich leisten könnte - sich z.B. die Betteleinnahmen plötzlich verdoppeln würden - dann tränke er nur noch Schnaps in der Kneipe. Das ist seine "zweite Präferenz": Lieber einen Schnaps als einen Wein.

Nun steige der Preis für eine Flasche Wein auf 2,50 Euro. Im Regelfall würde man nun erwarten, dass seine Weinnachfrage sinkt und die Schnapsnachfrage steigt. Die einzige Möglichkeit für den Bettler, den Pegel von von 1,2 Promille zu erreichen, besteht nun jedoch darin, dass er sich 6 Flaschen Wein kauft (6 Fl. a 0,2 ergeben gerade 1,2 Promille). Dafür gibt er exakt die erbettelten 15 Euro aus. Man überprüft leicht, dass ein einziges Glas Schnaps sein Budget so sehr schrumpfen ließe, dass die erste Präferenz nicht mehr erfüllt werden könnte.

Obwohl der Wein teurer geworden ist, fragt er nun mehr davon nach.

Warum ist das so? Wenn Wein teurer wird, dann sinkt sein reales Einkommen stark, denn er hat schon in der Ausgangssituation einen großen Anteil seines Einkommens für Wein ausgegeben. Würden wir ihm nun jeden Tag 2,50 Euro zusätzlich in den Hut werfen, dann könnte er sich weiterhin 5 Flaschen Wein und 2 Schnäpse kaufen. Wir hätten sein reales Einkommen konstant gehalten (fünf mal 50 Cent =) 2,50 Euro gleicht die Preissteigerung beim Wein gerade aus). Das würde er aber gar nicht tun wollen, denn wir wissen ja: eigentlich trinkt er lieber Schnaps in der Kneipe. Tatsächlich wäre nach der Einkommenskompensation Folgendes möglich: Er kauft sich 4 Flaschen Wein und 3 Schnäpse: 4*2,50 Euro + 3*2,50 Euro = 17,50 Euro. Mit dieser "Mischung" erreicht er den angestrebten Alkoholpegel (4*0,20 + 3*0,15 = 1,25).

Quintessenz: Die Ursache für das atypische Nachfrageverhalten ist der starke Effekt, der beim Einkommen auftritt. Mit steigendem Einkommen trinkt der Bettler nämlich immer weniger Wein und immer mehr Schnaps, den er ja lieber trinkt, sofern er ihn sich leisten kann. Wein ist für den Bettler ein inferiores Gut (negative Einkommenselastizität). Nur solche inferioren Güter können überhaupt Giffen-Güter sein -- und zwar in dem äußerst unwahrscheinlichen Fall, dass der Einkommenseffekt den reinen Preiseffekt ( Substitutionseffekt) überkompensiert -- deswegen wirkt das Beispiel auch so konstruiert. Den reinen Preiseffekt konnten wir beim Bettler beobachten, als wir sein Einkommen konstant gehalten haben. Da hat er eine ganz normale Reaktion gezeigt: Weniger vom teurer gewordenen Wein und mehr vom relativ billiger gewordenen Schnaps gekauft ( Gesetz der Nachfrage ).